Die Geschichte der Rieselfelder

Mehr als nur Berieselung.

Die Bezeichnung „Rieselfelder“ bzw. „Dortmunder Rieselfelder“ (ein geografisch irreführender Name!) ist erstum die Jahrhundertwende 1900 entstanden. Die Fläche, nahezu identisch mit der Bauerschaft „Lippe“ (in frühester Zeit „Bekenhem“, später „Behem“), war in Messtischblättern aus dem Jahre 1839 von preußischen Offizieren, zumindest mit dem größten Teil, als „Heide“ ausgewiesen worden . Der Sandboden der „Dahler Heide“ ging zur Lippe hin in ein fruchtbares Gebiet über. Nicht von ungefähr waren die dadurch guten Weiden und Möglichkeiten zum Getreideanbau bedeutend für eine frühe Ansiedlung im Lippe-Bereich.

Ausgrabungen in den 1890-er Jahren haben in Lippe Einzelgräber und Gräberfelder von den Kelten aus der Zeit um 800 bis 600 v. Chr. stammen. Über Jahrhunderte war die Dahler Heide eine „Mark“. Die Besitzer hatten als Markengenossen das Recht der Markennutzung. Grund und Boden gehörten hauptsächlich den Besitzern von „Wilbring“ und „Gutacker“ (Datteln) sowie dem Reichshof Elmenhorst mit seinen „Hobshöfen“ (abhängige Höfe). Anfang 1800 begann die Teilung der Waltroper Markengründe (Gemeinheiten).

1837 wurden 1.430 Morgen in Unterlippe und 1845 in Oberlippe 440 Morgen teilungsmäßig beurkundet. Ab den 1860er Jahren wurde von der Stadt Dortmund nach einer neuen Lösung für ihr Abwasserproblem gesucht. Seit mehreren Jahrhunderten wurde das Schmutzwasser in die Emscher eingeleitet, aber durch die florierende Industrialisierung, enormes Anwachsen der Einwohnerzahl und höherem Wohnkomfort war dieses Konzept nicht mehr zu vertreten. In den 40 Jahren von 1860 bis 1900 stieg die Einwohnerzahl von 22.000 auf 140.000. Zudem reichte bei den steigenden Abwassermengen die Fließgeschwindigkeit der Emscher zur Selbstreinigung nicht mehr aus. Die Emscher und deren Anlieger wurden einer immer größeren Belastung ausgesetzt. Durch den Bergbau hatte es in diesem Bereich erste Bergsenkungen (Huckarder Bruch) gegeben. Dadurch kam es immer wieder zu Überschwemmungen und bedingt dadurch kam es zum Ausbruch von Krankheiten. Eine Lösung des Problems war die Anlegung von Rieselfeldern, mit der man in anderen Städten, etwa in Berlin, gute Erfahrungen gemacht hatte. Die Stadt Dortmund untersuchte hier verschiedene Möglichkeiten. Das Emschergebiet war am Einfachsten zu erreichen. Aber der Kauf der benötigten Ackerfläche wäre sehr teuer gewesen. Außerdem gab es dort schon ständig Überschwemmungen. Damit war ein reibungsloser Betrieb schwierig. Ein zweites Gebiet, die Dahler Heide, lag im Lippetal im Bereich Waltrop, Lünen und Datteln. Es war ein nicht genutztes Heide- und Kiefernwaldgebiet. Der Erwerb war damit günstiger. Aber es war viel weiter von der Stadt entfernt und aufgrund der Wasserscheide zwischen der Emscher und der Lippe wassertechnisch viel schwieriger zu erreichen.

Ein Kostenvergleich fiel aber zu Gunsten des Waltroper Gebiets aus. Das Gelände, erst 750 ha, später 1.000 ha groß, war flach, sieben Kilometer lang und bis zu zwei Kilometer breit. Der Sandboden war sehr gut zur Verrieselung geeignet. Der Zulauf aus dem Dortmunder Stadtgebiet bis zum Rieselfeld sowie die Verteilung des Abwassers geschahen durch natürliches Gefälle (Freispiegelkanal), also ohne teure Pumpen. Das gereinigte Abwasser konnte dann in die nordöstlich verlaufende Lippe geleitet werden. Auf der südwestlichen Seite verlief der Schwarzbach, über den das Wasser dann auch in die Lippe gelangte. Ein Problem dabei stellte die Wasserscheide zwischen Emscher und Lippe im Bereich Dortmund-Brechten dar. Sie konnte nur durch einen bergmännisch gebauten Tunnel in bis zu 24 m Tiefe durchbrochen werden. Der Rieselfeldkanal wurde in dem damals neuartigen Schildvortriebsverfahren erstellt.

Dieses Verfahren wurde 1825 für den ersten Themse-Tunnel in London genutzt. 1892 wurde mit dem Bau der Rieselfeldanlage und dem Zuleitungskanal begonnen. Die ersten 8,4 km wurden als gemauerter Kanal im Eiprofil 0,9 m x 1,35 m ausgeführt. Der Rieselfeldkanal verlief auf vier Kilometern entlang des gerade im Bau befindlichen Dortmund-Ems-Kanals in der westlichen Uferböschung. Je nach Gelände hatte der Rieselfeldkanal alle 200 bis 400 Meter Einstiegsschächte, die der Belüftung dienten. Der eine sechs Kilometer lange Hauptkanal und das Auslassbauwerk sind noch heute in den Rieselfeldern zu sehen. Auch viele von den Einstiegsschächten existieren noch. Der Bau des Zuleitungskanals wurde ohne Bagger bewerkstelligt, die erst 30 Jahre zuvor erfunden wurden. Diese wurden mit Dampf betrieben und auf Schienen bewegt. Raupenbagger, wie sie heute verwendet werden, gab es damals noch nicht. Der ganze Bau, in zum Teil 6,5 Meter tiefen Baugruben, wie auch der Bau des Tunnels, wurden von Hand gemacht. Einzig Spundwände zur Absicherung der Baugruben wurden damals schon verwendet. Trotzdem wurde der Zuleitungskanal in nur drei Jahren fertig gestellt.

Eher arm lebend, verkauften viele Kötter unter anderem 1893 bereitwillig die ersten Flächen, über 380 Hektar konnten von der Stadt Dortmund freihändig erworben werden. Als Durchschnittspreis wurde 1.372,50 Mark pro Hektar gezahlt, für Heideflächen 150 bis 200 Mark den preußischen Morgen. Durch das Enteignungsrecht kamen 1894 weitere 410 Hektar zum Durchschnittspreis von 2.552 Mark/ha hinzu. Insgesamt also 790 Hektar, einschließlich der Bauernhöfe Nierhof und Reher sowie 22 Kotten für 1.562.431 Mark; zu Beginn des Jahres 1900
waren rund 1.000 Hektar erworben worden. In den Rieselfeldern wurden die Planierungsarbeiten und die Erstellung der zwischen 0,25 und 1,2 ha großen Überschwemmungsflächen fertig gestellt. Die Bauarbeiten zur Anlage der Rieselfelder begannen im Herbst 1894. Durch Dampflokomobile mit riesigen Pflügen wurde der Boden 80 bis 100 Zentimeter tief umgebrochen, eingeebnet und in Schlägen (landwirtschaftlich: Ackerfelder) von ¼ bis 2 ha Größe aufgeteilt. Jedes Feld war an allen vier Seiten von höher liegenden Gräben (Dämme) umgeben, in denen das Dortmunder Schmutzwasser geleitet wurde. Zur Entwässerung der Flächen wurden erst nur Entwässerungsgräben erstellt. Mit Beginn der Berieselung stellte sich heraus, dass ohne Dränage das Wasser nicht schnell genug abzog. Deshalb wurde auf 680 Hektar der Fläche im Abstand von 8 bis 10 Metern Tondränage verlegt. Innerhalb von etwa ein bis zwei Tagen blieben die organischen Bestandteile, die Schwebestoffe, auf dem Feld liegen, das Wasser versickerte. Das gereinigte Wasser floss dann in die Lippe. Es hatte einen 25 Prozent höheren Sauerstoffgehalt als das Lippewasser (4,4 mg/l zu 3,6 mg/l). Die Baukosten des gesamten Zuleiterkanals betrugen 3,6 Mio. Goldmark (entspricht heute ca. 35,5 Mio. Euro). Die Rieselfelder gingen am 17. April 1898 in Betrieb.

Für die Verwaltung und den Betrieb wurde 1901 ein Verwaltungsgebäude errichtet. Es steht noch heute an der Kreuzung Oberlipper Straße/Borker Straße in Waltrop. In der Verwaltung waren 140 Personen im Jahr 1900 beschäftigt, die meisten davon Rieselwärter. 1963 arbeiteten dort nur noch 40 Personen, 1970 waren es 30. Das durch eine Drainage aufgefangene Wasser gelangte über Entwässerungsgräben in die Lippe bzw. vorher in den angelegten, großen Fischteich, in dem Karpfen, Schleien und Forellen den Beweis für die Sauberkeit des gefilterten Wassers lieferten. Zur Konzeption der neuen Dortmunder Abwasserbeseitigung gehörte die landwirtschaftliche Nutzung der berieselten Flächen, da sonst ein dichter, undurchlässiger Boden entstanden wäre. Die Hauptaufgabe der Rieselwärter war die Regelung der Wasserzufuhr der einzelnen Parzellen. Es wurde so lange bewässert, bis 10 bis 15 Zentimeter Wasser auf den Flächen stand. Dies dauerte je nach Beschaffenheit des Bodens und je nach Witterung einige Stunden. Wie oft die einzelnen Flächen bewässert wurden, hing von der Nutzung ab, nämlich pro Jahr zwei- bis sechsmal. 1963 flossen täglich 30.000 Kubikmeter Abwasser in die Rieselfelder – 22.000 aus der Stadt und 8.000 Grundwasser. Das Abwasser aus Brechten und dem Peddenbrink in Holthausen flossen direkt in den Rieselfeldkanal. Gegen Ende der Nutzung des Rieselfeldkanals in den 70er Jahren wurde die Abwassermenge aus der Stadt so gering, dass über einen Schieber am Datteln-Hamm-Kanal Kanalwasser zugefügt wurde. Mittlerweile war das früher berieselte Areal von 1.000 ha auf ein Viertel zusammen geschrumpft und die verbliebenen Kollegen der Rentei – Heinrich und Willi Schwert, Heinz Wember und Heini Henrichs– waren mehr oder weniger mit der Auflösung der Rieselfeldverwaltung beschäftigt. Die ersten Pachtverträge waren bereits 1899 – rund 500 Hektar Rieselfläche waren erstellt – mit Köttern bzw. Bauern in der Bauerschaft Lippe abgeschlossen worden. An Pacht zahlte man 65 Mark/ha, später stieg der Preis erheblich. Als Musterbetriebe wurden die stadteigenen Höfe „Gut Nierhof“ und „Reher“ geführt. Die vielen Familienbetriebe machten durch großen Einsatz die Rieselfelder zu einem bedeutenden Gemüseerzeugungsgebiet, das durch eine Absatzgenossenschaft auf den Großmärkten des Ruhrgebiets verkaufte. Der Güterdirektor derStadt Dortmund, Dr. W. Kötting, berichtete anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Rieselfelder „von verrieselten Abwässern von 250.000 Einwohnern, von täglich 50.000 cbm Schmutzwasser, von täglich 60 Morgen aufzustauender Fläche, von 300 Pächtern, von zwei bis drei Ernten pro Jahr, von täglich 30 großen Lastzügen mit Gemüse in der Erntezeit Juni bis Oktober und einer zusätzlichen Bahnverladung von Mohrrüben und Kohlsorten.“ Das große Gemüseanbaugebiet „Rieselfelder“ war auch für Berlin interessant.

1960 hatte die Gemüsebau- und Absatzgenossenschaft in Waltrop erstmals den Berliner Markt erschlossen. Die 1960er Jahre brachten aber auch einen großen Einschnitt für die Rieselfelder. Aufgrund der Kostenentwicklung und der immer höheren Importe war die Anlage für die Stadt Dortmund zum Zuschussbetrieb geworden. Pachtverträge wurden nicht mehr wie üblich für sechs Jahre verlängert, sondern nur noch für ein Jahr. Die notwendige Erneuerung der Hauptleitung mit hohen Kosten kam hinzu. Verkaufsabsichten für die Rieselfelder standen bereits 1976 im Raum. Als dann ab April 1978 fast die gesamten Dortmunder Abwässer wieder in die kanalisierte und zubetonierte Emscher mit entsprechenden Kläranlagen eingeleitet wurden, kam das „Aus“ für die „Dortmunder“ Rieselfelder, sie wurden verkauft. „Großgrundbesitzer“ wurden die VEW, die Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen (heute RWE). Bereits 1973/74 waren deren Planungen in den Rieselfeldern für den Bau von vier Kohlekraftwerken mit 2.900 Megawatt (MW) und drei Atomkraftwerken mit 3.000 MW bekannt geworden.

Einher gingen die Planungen des Landes Nordrhein-Westfalen mit der Vorstellung des „Landesentwicklungsplanes VI“ (LEP VI) für flächenintensive Großvorhaben und Kraftwerksstandorte im Januar 1977. Im Bereich der Städte Waltrop und Datteln (Rieselfelder) wurde eine Fläche von 150 ha für Kohlekraft- und Atomkraftwerke und von 1.700 ha für Großindustrie im ersten Entwurf als sogenannte Vorratsfläche vorgesehen. Im September des gleichen Jahres stellte die VEW beim Staatlichen Gewerbeaufsichtsamt Recklinghausen einen Antrag auf Vorbescheid für zwei Kohlekraftwerke von je 750 MW, mit Schornsteinen von 228 m Höhe. Dies „passte“ in die damalige Landschaft zur Diskussion um den LEP VI, zu dem der Waltroper Rat eine Stellungnahme abzugeben hatte. Fast jede Gruppierung am Ort und unzählige Einzelpersonen äußerten sich in Leserbriefen und Stellungnahmen zu dieser Problematik. In geheimer Abstimmung wurde am 19. September 1977 mit 20 zu 19 Stimmen (damalige Sitzverteilung im Rat: 20 SPD, 17 CDU, 2 FDP) für „Ja“ zum konventionellen (Kohle-) Kraftwerksstandort und für „Nein“ zum Kernkraftwerk-Standort, zur Größe der Gesamtfläche sowie zum Abstand zur Wohnbebauung in Waltrop abgestimmt. Mittlerweile, am 16. Mai 1978, war dann doch die Stilllegung der Zeche für 1979 verkündet worden und der Rat der Stadt lehnte am 7. November 1978 in einer Sondersitzung die Ausweitung der Kraftwerksflächen in den Rieselfeldern von 150 ha auf 240 ha ab und nahm einstimmig eine Protestresolution an.

Zustimmend nahm man dann in Waltrop zur Kenntnis, dass die Landesregierung Nordrhein-Westfalen am 14. Juli 1985 beschloss, die Rieselfelder als Kernkraftwerkstandort aufzugeben, immerhin eine alte Forderung aus Waltrop. Fortan gab es immer wieder Bestrebungen, Industriebetriebe in den Rieselfeldern anzusiedeln – sei es nun die „Heidelberger Druckmaschinen AG“ (1989) oder BMW (2000) anzusiedeln; dies wurde auch stets von den Landwirten mit Protestaktionen begleitet.

In Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsministerium des Landes NRW sollte im Rahmen eines internationalen Wettbewerbes ein optimales Konzept für den newPark gefunden werden. Im Juni 1999 begannen die Vorbereitungen, Anfang des Jahres 2000 lag der Auslobungstext vor – dabei wurde ein Maßnahmenpaket erwartet, das von der Planung und Organisation bis hin zu einer Vermarktungsstrategie auf ein mindestens 300 ha großes Areal ausgerichtet ist. Die Bewertung der eingereichten Vorschläge übernahm eine Jury, sie bestimmte am 16. August 2000 das Team unter Führung von ARCADIS Trischler & Partner, Darmstadt, als Gewinner des ersten Preises. Noch am 17. August 2000 gab es die Meldung „150 bis 200 Firmen könnten von diesen einzigartigen newPark-Rahmenbedingungen profitieren.

Eine Standortentscheidung ist zwar noch nicht gefallen, favorisiert werden jedoch die Rieselfelder in Datteln/Waltrop, die für großflächige Industrieansiedlungen vorgehalten werden“. Seither gab es Tendenzen und Strömungen, auch bei Landes- und Bundespolitik, die den „newPark“ fordern und fördern – oder eben nicht. Nun kümmert sich die newPark Planungs- und Enwicklungsgesellschaft. Der Regionalrat bei der Bezirksregierung Münster hat am 28. September 2009 den Aufstellungsbeschluss für die 6. Änderung des Regionalplans Emscher-Lippe gefasst. Damit hat der Regionalrat die planerischen Voraussetzungen für die Realisierung von newPark ge- schaffen. Die Regionalplanänderung ist am 10. März 2010 durch Ver- öffentlichung im Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes NRW in Kraft getreten. Der Aufstellungsbeschluss für das Bauleitplanverfahren wurde am 23.06.2016 von der Stadt Datteln beschlossen. newPark soll in den nächsten Jahren zum Top-Standort für neue Industrie in NRW werden. Das Industrieareal am nördlichen Rand der Metropole Ruhr, auf dem Gebiet der Stadt Datteln gelegen, soll Standort für die Industrien und Arbeitsplätze der Zukunft werden. Dort sollen Industrieunternehmen aus der ganzen Welt willkommen sein. Es soll laut eigener Aussage „die erste große Industrie 4.0-Landschaft für digital vernetzte Zukunftsfabriken und innovative Fertigungsverfahren“ entstehen. Erste Ansiedlungen seien für 2022 vorgesehen.